Technik

 

Die Technik der Herrnmühle Heiligenstadt

Alfred Kirsten, Erfurt

 

Die Mühle als älteste Maschine der Menschheit

Die modernen automatischen Klein- und Mittelmühlen zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren bereits eine Kombination unterschiedlicher Müllereimaschinen, bestehend aus Reinigungs-, Vermahlungs- und Sichtmaschinen gekoppelt mit speziellen Förder- und Absaugvorrichtungen. Ihr Vorgänger bestanden oft nur aus einem Mahlgang und einem Beutelkasten, in dem das Sichten des Mahlgutes, also das Trennen von Mehl und Kleie stattfand. Teilweise musste sogar oft noch das Handsieb diese Funktion übernehmen. Sieber und Beutler stellten als spezielle Berufsgruppe diese Geräte her.

Von Wasserkraft angetriebene Mühlen haben eine rund 2000jährige Vergangenheit. Im alten Rom wurden sie erstmalig von Vitruv um 24 v.u.Z. beschrieben.

Der erste Nachweis einer Windkraftnutzung ist aus dem 8. Jahrhundert überliefert. Vor rund 1000 Jahren tauchten im Mittelmeerraum Turmwindmühlen mit dem heute noch gebräuchlichen Segeltuch bespannten Flügelkreuz auf.

Die Mühle, speziell die Wassermühle als Maschine zu bezeichnen wird dadurch gerechtfertigt, dass in ihr die drei wesentlichen Elemente der entwickelten Maschinerie enthalten sind:

  • der Antrieb in Form des Wasserrades oder der Turbine

  • die Kraftübertragung durch Wellen und Getrieberäder

  • die Verarbeitungsmaschine – der Steingang oder Walzenstuhl

 

Zur Geschichte der Herrnmühle

Die Herrnmühle , 1248 in der Mainzer Heberolle erstmals urkundlich erwähnt und 1318 als Vronemulle genannt, war offensichtlich schon seit Beginn ihres Bestehens eine Getreidemahlmühle, denn das zum Mühlenensemble gehörende Kornhaus diente bereits im 13. Jahrhundert als Kornspeicher. Der Mühlgraben, dessen Untergraben vom Kornhaus überbaut worden ist, lässt darauf schließen, dass die Mühle schon früher als das Kornhaus oder gleichzeitig mit ihm erbaut wurde.

Der bisher älteste Mühlenstandort Thüringens in Taubach an der Ilm lässt sich für 1120 nachweisen. In Deutschland belegen archäologische Funde an der Mosel bereits für das 3./4. Jahrhundert das Vorhandensein von Wassermühlen. Der älteste Hinweis zu einer Wassermühle liegt schon mehr als 2000 Jahre zurück.

In der mehr als 750jährigen Geschichte der Herrnmühle gab es nicht nur Veränderungen am Mühlengebäude, sondern vor Allem auch Verbesserungen und Ergänzungen an der Mühlentechnik sowie an der durch die Wasserkraft der Geislede getriebenen Antriebstechnik.

Um 1725 nach einem Brand wurde das heute noch vorhandene Mühlengebäude errichtet. Da es beständig Streit um das Anstauen der Geislede gab, die übrigens in einen „faulen“ und einen „fleißigen“ Wasserarm gespalten worden war, wurde 1896 auf Betreiben des Besitzers der oberliegenden Gieckmühle ein neuer Merkpfahl gesetzt. Danach durfte der Müller der Herrnmühle nur 30 cm Wasserhöhe vor seinen drei Wasserrädern anstauen, um die Gieckmühle in ihrer Wasserradleistung nicht zu beeinträchtigen.

1923 waren diese drei Wasserräder noch vorhanden. Sie wurden kurze Zeit später durch ein einzelnes, aber breiteres oberschlächtiges Wasserrad ersetzt. Verbesserte Getriebetechnik, wie sie heute noch in der Mühle zu sehen ist, war Voraussetzung für diesen Umbau.

Im 19. Jahrhundert gab es eine Vielzahl technischer Entwicklungen auch im Mühlenbau. Neben neuen Reinigungsmaschinen kamen erstmalig Walzenstühle zum Einsatz, die ständig konstruktiv verbessert wurden. Aber auch die Steingänge hatten noch lange nicht ausgedient. Verbesserte Steinschärfen und spezielle Steine aus Frankreich ließen oft Kombinationen von Steingängen und Walzenstühlen entstehen, wofür die Herrnmühle beredtes Zeugnis ablegt. Moderne Sichtmaschinen in Form der Plansichter gestatteten, die Mehlausbeute zu erhöhen und unterschiedliche Mehlqualitäten und –typen zu erzeugen.

 

Mühlentechnik und Vermahlungsablauf

Die Einrichtung der Herrnmühle ist die einer typischen kleinen Handwerksmühle aus den 1920er/1930er Jahren mit einer Vermahlungsleistung von ca. 2 t/24 Std. Die erforderliche Antriebsenergie lieferte die Wasserkraft der Geislede über ein oberschlächtiges Wasserrad. Damit konnten je nach mittleren Wasserdurchfluss von 400 – 500 l/sec 10,2 –12,8 kW (14 – 17,5 PS) erzeugt werden, die für den Antrieb der beiden Steingänge, des Walzenstuhles, der Reinigungs- und Sichtmaschinen und des innerbetrieblichen Mahlguttransportes über Elevatoren ausreichten.

Der prinzipielle Aufbau einer solchen handwerklichen Kleinstmühle ist vermahlungstechnisch vorgegeben, so dass man die bauliche Gliederung in Getriebekeller, Stein-/Walzenstuhlboden, Rohrboden und Sichterboden auch hier vorfindet. Über ein Stirnradvorgelege und ein Kegelradgetriebe im Getriebekeller erfolgt der Antrieb der liegenden Transmissionswelle und von dort auf die einzelnen Vermahlungsmaschinen. Im ersten Arbeitsgang wurde das Getreide auf dem Schrotgang zerkleinert. Zwischen zwei Mahlsteinen, dem Läufer- und dem Bodenstein, die durch eine hölzerne Bütte ummantelt sind, wird das gereinigte und geschälte Getreide zerschert und zerrieben und anschließend gesichtet, d.h. über den auf dem Sichterboden befindlichen Plansichter gesiebt nach Mehl, Schalen und Kleie. Das dabei gewonnene Mehl wird der Mehlmischmaschine zugeführt. Das restliche Mahlgut wird zum zweiten Steingang, dem Mahlgang transportiert, dort erneut zwischen den Mahlsteinen vermahlen und wieder dem Plansichter zugeführt, wo erneut die Trennung des Mahlgutes in seine Bestandteile erfolgt. Der Transport des Mahlgutes erfolgt durch Elevatoren und Transportschnecken zum jeweiligen Ziel: Das ausgesiebte Mehl zur Mehlmischmaschine, in der eine sich drehende vertikale Schnecke für ein homogenes Mehlgemisch sorgt, das übriggebliebene Mahlgut zu dem Einfachwalzenstuhl, wo es erneut vermahlen wird. Dieser Vorgang des Aussiebens und Vermahlens wird je nach verlangter Mehltype und -qualität mehrfach wiederholt, jeweils zwischen Mahlgang und Walzenstuhl wechselnd, wobei die Zwischenprodukte, die auf ihren nächsten Durchlauf warten, in einem Vorstehbehälter aufgefangen werden, bis sie der weiteren Verarbeitung zugeführt werden können.

Dieses Prinzip der Vermahlung ist das einer Rückschüttmühle im Unterschied zur Durchgangsmühle. Bei der Durchgangsmühle ist kein Auffangen der Zwischenprodukte erforderlich, es werden jedoch für den kontinuierlichen Produktionsablauf bis zu 20 Walzenstühle benötigt.

Das fertiggestellte und in der Mehlmischmaschine gesammelte Mehl wurde je nach Bedarf über den trichterförmigen Absackstutzen in Säcke abgefüllt.

Mit den in der Herrnmühle jetzt noch vollständig erhaltenen Müllereimaschinen war es möglich, neben Weizen auch Roggen zu verschiedenen Mehltypen zu verarbeiten. Über den auf dem Steinboden installierten Quetschstuhl konnte Hafer gequetscht und über den Steingang separat Futterschrot gewonnen werden.

 

Die technische Ausrüstung der Herrnmühle

Wasserrad und Kraftübertragung

Waren früher in der Herrnmühle noch drei Wasserräder im Einsatz, wobei jedes Wasserrad nur einen Steingang antreiben konnte (und nach altem Mühlenrecht antreiben durfte), wurde in den 1930er Jahren ein technisch ausgereifteres Wasserrad eingebaut. Die verbesserte Getriebetechnik mit geringeren Reibungsverlusten ermöglichte diese Baumaßnahme.

Ein Stirnradvorgelege, ein Kegelradgetriebe und die liegende Transmissionswelle direkt unter dem Steinboden ermöglichten, über Riemenscheiben und Treibriemen sowie weitere Transmissionen neben den Vermahlungsmaschinen auch die Reinigungs- und Sichtmaschinen anzutreiben. Auch der innerbetriebliche Mahlguttransport über Elevatoren und Transportschnecken wurde damit ermöglicht.

 

Reinigungsmaschinen

Bevor das Korn vermahlen werden konnte, wurde es einer gründlichen Reinigung unterzogen. Dazu wurde das Getreide zum Aspirateur auf dem Sichterboden transportiert. Über verschiedene im Aspirateur angeordnete Siebe wurden gröbere und größere im Getreide enthaltene Bestandteile wie Steine, Strohhalme, Gräser und Ährenteile entfernt. Zugleich wurden Staub und Schmutz abgesaugt. Im darunter angeordneten Trieur diente eine mit runden Ausbuchtungen versehene Trommel zum Auslesen kleinerer Samen und zerbrochener Getreidekörner. Wurden diese Fremdbestandteile und Unreinheiten nicht entfernt, konnte kein einwandfreies Mehl erzeugt werden und es bestand die Gefahr, dass es ranzig wurde. Im anschließenden Schälvorgang wurde die Holzfaserschicht teilweise abgeschliffen, indem die Getreidekörner in der Schälmaschine mit hoher Geschwindigkeit an einen Schmirgelmantel geschleudert wurden. Dadurch wurde es leichter, im ersten Vermahlungsgang (1. Schrot) an den Mehlkern zu gelangen. Trieur und Schälmaschine sind auf dem Rohrboden der Mühle untergebracht. Das in einem Vorstehbehälter gesammelte gereinigte Getreide konnte jetzt über die Steingänge und Walzenstühle vermahlen werden

 

Vermahlungsmaschinen

Mittels des sich drehenden Läufersteins (ca. 120-150 U/min je nach Steindurchmesser) erfolgt die Vermahlung des Getreides zwischen Boden- und Läuferstein. Je nach Steinqualität und eingehauener Schärfe (Rillen und Furchen) dienen die verschiedenen Steingänge zum Schroten (1. Vermahlung) oder für die weitere Vermahlung des Getreides.

Ziel ist es, eine möglichst hohe Mehlausbeute zu erreichen. Dies wurde durch ein vorsichtiges Ausmahlverfahren – man spricht von Hochmüllerei – angestrebt. Neben der Schärfe ist auch das Gewicht der Steine von Bedeutung, um entsprechenden Druck ausüben zu können.

Mit den ersten brauchbaren Walzenstühlen nach 1873 kamen diese immer mehr in Gebrauch. Über Porzellanwalzen führte der Weg zu geriffelten gusseisernen Walzen bis hin zu Glattwalzen, um eine möglichst hohe Mehlausbeute bei guter Qualität zu erreichen.

 

Sichtmaschinen

Ausschlag gebend für eine hohe Mehlausbeute und für die Erzeugung der gewünschten Mehltype war der 1886 entwickelte Plansichter, ein aus mehreren Siebteilen zusammengesetzter schwingender Kasten, mit dem praktisch das Handsiebprinzip auf mechanisierte Weise wieder Anwendung fand. Die einzelnen Siebteile sind mit Gaze unterschiedlicher Maschenweite bespannt, die jeweilige Feinheit wird vom Müller im Vermahlungsdiagramm bestimmt.

 

 

Elevatoren und Transportschnecken, Aspiration und Filter

Um 1790 wurden erstmals Elevatoren (Becherwerke) und Schnecken für den innerbetrieblichen Mahlguttransport eingesetzt. Damit entfiel das ständige Absacken der Mahlgut-Zwischenprodukte und der kräftezehrende manuelle Transport zwischen den einzelnen Müllereimaschinen. Die Elevatoren, mit Bechern besetzte Endlosbänder, dienten der vertikalen Mahlgutförderung, die Schneckengetriebe wurden für die horizontale Förderung genutzt. Dieser mechanisierte Ablauf steigerte die Produktivität und Effektivität auch kleinster Mühlen enorm und war technologische Voraussetzung für den wirtschaftlichen Einsatz der neu entwickelten Vermahlungs-, Reinigungs- und Sichtmaschinen.

Um die Mühle möglichst frei von Mehlstaub zu halten, sorgte ein Exhaustor für die Absaugung. Das Mehlstaub-Luft-Gemisch wurde durch Schlauchfilter gedrückt, die Luft konnte durch das Gewebe entweichen und das ausgefilterte Mehl durch Abklopfen wieder dem Mahlprozess zugeführt werden. Auch dieses trug zur Erhöhung der Mehlausbeute bei.